Betriebsübergang: Rechte und Pflichten nach § 613a BGB

Grundsatz des Betriebsübergangs

Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch ein Rechtsgeschäft auf einen neuen Inhaber über, tritt dieser gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in die Rechte und Pflichten der bestehenden Arbeitsverhältnisse ein. Die ständige Rechtsprechung des Achten Senats, die auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs abstellt, setzt dabei den Übergang einer wirtschaftlichen Einheit voraus, die ihre Identität bewahrt.

Prüfung der wirtschaftlichen Einheit

Bei der Frage, ob eine wirtschaftliche Einheit übergeht, müssen alle relevanten Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu zählen:

  • Art des Unternehmens oder Betriebs

  • Übergang materieller Betriebsmittel (z. B. Gebäude, bewegliche Güter)

  • Wert immaterieller Aktiva

  • Übernahme der Hauptbelegschaft

  • Kundschaft und Kundenlisten

  • Ähnlichkeit der Tätigkeiten vor und nach dem Übergang

  • Dauer möglicher Unterbrechungen

Auch andere Merkmale wie Personal, Führungskräfte, Arbeitsorganisation, Betriebsmethoden und verfügbare Betriebsmittel können die Identität der Einheit prägen. Je nach Tätigkeit und Produktionsweise haben die Kriterien unterschiedliches Gewicht.

Besonderheiten bei Handels- und Dienstleistungsbetrieben

Der Achte Senat stellte am 27. Oktober 2005 (8 AZR 568/04) klar: Bei Handels- und Dienstleistungsbetrieben prägen immaterielle Betriebsmittel wie Kundenbeziehungen, Know-how und Marktstellung die Identität. Eine Büroausstattung ist dagegen oft nicht entscheidend, wenn der Geschäftszweck vor allem die Betreuung von Objekten erfordert.

Zeitpunkt des Übergangs

Erfolgt die Übernahme der Betriebsmittel in mehreren Schritten, gilt der Betriebsübergang sobald die wesentlichen Betriebsmittel übergegangen sind und die Entscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.

Aufhebungsverträge und Umgehung

Der Achte Senat bestätigte mit Urteil vom 18. August 2005 (8 AZR 523/04), dass Aufhebungsverträge grundsätzlich wirksam sind, wenn sie auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers gerichtet sind. Allerdings ist ein Vertrag unwirksam, wenn er die zwingenden Rechtsfolgen des § 613a BGB umgehen will, etwa durch gleichzeitige Vereinbarung eines neuen Arbeitsverhältnisses beim Betriebserwerber.

Auch bei objektiv beabsichtigter Beseitigung der Arbeitskontinuität ist der Aufhebungsvertrag nur dann unwirksam, wenn die Arbeitsbedingungen sachlich unberechtigt verschlechtert werden.

Auflösungsanträge vor Betriebsübergang

Mit Urteil vom 24. Mai 2005 (8 AZR 246/04) entschied der Senat, dass der Betriebsveräußerer trotz des bevorstehenden Betriebsübergangs einen Auflösungsantrag nach § 9 KSchG stellen darf. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Übergang muss ihm nicht zugemutet werden. Diese Regelung entspricht der praktischen Handhabung und dem Sinn des Kündigungsschutzgesetzes.

Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB

Der bisherige oder neue Arbeitgeber muss die betroffenen Arbeitnehmer schriftlich informieren über:

  • geplanten Übergangszeitpunkt

  • Gründe für den Übergang

  • rechtliche, wirtschaftliche und soziale Folgen

  • geplante Maßnahmen für die Arbeitnehmer

Verletzt der Arbeitgeber diese Pflicht, läuft die Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht. Die Kündigung bleibt jedoch wirksam, da die Unterrichtungspflicht nicht das Entstehen eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes ersetzt. Der Arbeitnehmer ist ausreichend geschützt und kann die Informationen nachholen.

Gleichbehandlung nach Betriebsübergang

Der Fünfte Senat entschied am 31. August 2005 (5 AZR 517/04), dass ein Gewerkschaftssekretär der DAG nicht automatisch gleichbehandelt werden kann wie ehemalige HBV-Beschäftigte nach der Verschmelzung auf ver.di. Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet in diesem Fall keine Anwendung, da die Identität der früheren Betriebe mit der Verschmelzung entfällt.

Tarifverträge und Betriebsübergang

Der Vierte Senat stellte am 11. Mai 2005 (4 AZR 315/04) klar, dass ein neuer Tarifvertrag bestehende Tarifverträge verdrängen kann, wenn eine kongruente Tarifgebundenheit der Parteien besteht. Mit Urteil vom 20. April 2005 (4 AZR 292/04) wurde zudem bestätigt, dass notariell abgeschlossene Kaufverträge die dynamische Anwendbarkeit von Vergütungstarifverträgen sichern können. Arbeitnehmer können daraus unmittelbare Rechte ableiten, da es sich um Verträge zugunsten Dritter nach § 328 Abs. 1 BGB handelt.


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