Gewerkschaften: Betätigungsfreiheit & Mitgliederwerbung

1. Unterschriftenaktionen in Polizeidienststellen

Mit Urteil vom 25. Januar 2005 (1 AZR 657/03) entschied der Erste Senat, dass eine Polizeigewerkschaft in Dienstgebäuden der Polizei keine Unterschriftenlisten auslegen darf. Diese Listen sollten vom Publikum genutzt werden, um die Forderung nach mehr Planstellen für Polizeibeamte zu unterstützen.

Zwar fallen solche Aktivitäten grundsätzlich unter die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Betätigungsfreiheit der Koalitionen. Dazu gehört das Recht, Gruppeninteressen im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen darzustellen. Diese Freiheit findet jedoch ihre Grenzen, wenn andere verfassungsrechtlich geschützte Güter betroffen sind.

Ein zentrales Schutzgut ist der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG. Er verlangt, dass jede Möglichkeit einer sachwidrigen Beeinflussung ausgeschlossen wird. Schon der Anschein einer Beeinflussung muss vermieden werden. Zudem dürfen staatliche Einrichtungen nur im Rahmen ihres bestimmungsgemäßen Gebrauchs genutzt werden.

Durch das Auslegen von Listen in Polizeidienststellen könnte beim Publikum der Eindruck entstehen, die eigene Unterschrift beeinflusse die Bearbeitung von Anliegen positiv. Außerdem bestünde die Gefahr, dass der Ort der Aktion als staatliche Billigung missverstanden wird. Die Gewerkschaft ist nicht darauf angewiesen, ihre Aktionen innerhalb der Polizeidienststellen durchzuführen.


2. Mitgliederwerbung konkurrierender Gewerkschaften

Der Erste Senat entschied außerdem am 31. Mai 2005 (1 AZR 141/04), dass die Regeln des UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) nicht für die Mitgliederwerbung von Gewerkschaften gelten. Diese Werbung ist durch die in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG garantierte Betätigungsfreiheit geschützt.

Gegen rechtswidrige Eingriffe in diese Freiheit kann sich eine Gewerkschaft mit Unterlassungsklagen nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog wehren – auch im Verhältnis konkurrierender Gewerkschaften. Mitgliederwerbung zielt oft darauf ab, bereits organisierte Arbeitnehmer für die eigene Gewerkschaft zu gewinnen. Das kann zwar den Mitgliederbestand anderer Gewerkschaften beeinträchtigen, macht die Werbung aber nicht automatisch unzulässig.

Entscheidend ist eine Abwägung der Grundrechtspositionen beider Gewerkschaften. Mitgliederwerbung muss hingenommen werden, solange sie nicht mit unlauteren Mitteln erfolgt oder auf die Existenzvernichtung einer Gewerkschaft gerichtet ist. Selbst das Anbieten eines besonders günstigen Mitgliedsbeitrags – etwa ein Euro pro Monat im ersten Jahr – überschreitet diese Grenzen nicht.


Fazit

Die Entscheidungen zur Betätigungsfreiheit von Gewerkschaften zeigen, wie stark das Spannungsfeld zwischen Grundrechten und öffentlicher Ordnung im Arbeitsrecht ausgeprägt ist. Gewerkschaften dürfen ihre Interessen frei vertreten und Mitglieder werben, müssen dabei aber die Grenzen staatlicher Neutralität respektieren.
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