Rückwirkende Tarifverträge: Vorverträge, Änderungen und Kündigungen

Vorvertragliche Ansprüche

Der Vierte Senat entschied am 5. Juli 2006 (4 AZR 381/05), dass Tarifvertragsparteien einen Vorvertrag schließen können, der einen einklagbaren Anspruch auf Unterzeichnung eines späteren Tarifvertrags begründet. Dies ist besonders relevant bei rückwirkenden Tarifverträgen, die oft den Rahmen dieser Vereinbarungen bilden. Wenn beide Seiten das Verhandlungsergebnis verbindlich festhalten und die zuständigen Gremien von Arbeitgebern und Gewerkschaften es billigen, entsteht der Anspruch.

Der Senat ließ offen, ob der Vorvertrag schon die Schriftform nach § 1 Abs. 2 TVG erfüllen muss.


Teilweise Umsetzung eines Vorvertrags

Wenn ein Vorvertrag nur teilweise umgesetzt wird, können beide Parteien die tarifvertragliche Ergänzung verlangen. Ein rückwirkendes Inkrafttreten hindert sie nicht daran. Dies gilt selbst, wenn andere Tarifverträge zwischenzeitlich gekündigt wurden.

Arbeitgeber und Gewerkschaften dürfen rückwirkend in bereits entstandene Ansprüche eingreifen, solange der besondere Vertrauensschutz der Arbeitnehmer nicht verletzt wird.


Verpflichtung der Spitzenorganisation

Am 25. Januar 2006 (4 AZR 552/04) entschied der Senat, dass ein Tarifvertrag die Spitzenorganisation verpflichtet, ihre regionalen Mitgliedsverbände zu beeinflussen. Dadurch sollen diese Lohntarifverträge abschließen.

  • Ein Antrag genügt, auch wenn die Art der Einflussnahme offen bleibt, da die Organisation ein Wahlrecht besitzt.

  • Verzögerungen durch Auseinandersetzungen über Tarifinhalte erlauben rückwirkende Regelungen.

  • Arbeitnehmer müssen solche Rückwirkungen nicht fürchten, wenn sie mit entsprechenden Regelungen rechnen konnten.


Rückwirkende Änderungen während der Laufzeit

Der Senat bestätigte am 11. Oktober 2006 (4 AZR 486/05), dass Tarifverträge während ihrer Laufzeit rückwirkend geändert werden können.

  • Die Parteien können in tarifliche Rechte eingreifen, müssen aber das schutzwürdige Vertrauen der Arbeitnehmer respektieren.

  • Arbeitnehmer erwarten in der Regel, dass bereits entstandene Ansprüche nicht verschlechtert werden.

  • Nur wenn vor der Entstehung des Anspruchs hinreichende Anzeichen für verschlechternde Eingriffe vorliegen, ist dies zulässig.

Diese Regeln gelten auch für Sanierungstarifverträge, die rückwirkend verschlechternd wirken.


Kündigung von Tarifverträgen

Am 3. Mai 2006 (4 AZR 795/05) bestätigte der Senat, dass Tarifverträge nur als Ganzes kündbar sind.

  • Eine Teilkündigung ist nur zulässig, wenn der Vertrag sie ausdrücklich erlaubt.

  • Die Literatur diskutiert, ob Teilkündigungen auch ohne ausdrückliche Regelung möglich sind.

  • Bereits 1985 (4 ABR 7/85) erkannte der Senat das praktische Bedürfnis für Teilkündigungen an, ließ die rechtliche Zulässigkeit jedoch offen.

  • Arbeitgeber und Gewerkschaften dürfen eine unwirksame Teilkündigung nicht automatisch in eine Kündigung des gesamten Vertrags umdeuten.


Fazit

Der Vierte Senat zeigt deutlich: Vorverträge, rückwirkende Änderungen und Kündigungen sind erlaubt, aber unter klaren rechtlichen Grenzen. So schützen die Regeln die Rechte der Arbeitnehmer, während Tarifparteien flexibel handeln können.