1. Tarifzuständigkeit

Mit Beschluss vom 27. September 2005 (- 1 ABR 41/04 -) hat der Erste Senat entschieden, dass die IG Metall für den Abschluss von Tarifverträgen für die Beschäftigten in Betrieben der IBM-Unternehmen in Deutschland, die sich mit Dienstleistungen im Bereich der Informationstechnik befassen, zuständig ist. Die Tarifzuständigkeit richtet sich grundsätzlich nach dem in der Satzung einer Gewerkschaft festgelegten Organisationsbereich. Die Zuständigkeit der IG Metall ergibt sich spätestens seit der 1995 vorgenommenen Satzungsergänzung, wonach sie für „Betriebe … anverwandter Dienstleistungszweige, insbesondere auch der Informations- und Kommunikationstechnologie sowie der Datenverarbeitung“ zuständig ist. Eine Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft ver.di steht dem nicht entgegen. Eine Gewerkschaft kann ihren Organisationsbereich grundsätzlich frei bestimmen. Zu ihrer Tarif- und Vereinsautonomie gehört das Recht, den satzungsgemäßen Zuständigkeitsbereich zu ändern. Das kann dazu führen, dass für einen neu erfassten Bereich mehrere Gewerkschaften die Zuständigkeit in Anspruch nehmen. Dies allein steht der Zulässigkeit der Satzungsänderung nicht entgegen. Die Anwendbarkeit des maßgeblichen Tarifrechts richtet sich dann nach den Grundsätzen der Tarifpluralität und der Tarifkonkurrenz. Eine Doppelzuständigkeit mehrerer DGB-Gewerkschaften für denselben Bereich ist nicht ausgeschlossen. Allerdings hat sich die IG Metall in ihrer Satzung verpflichtet, die Satzung des DGB zu befolgen. Danach konnte sie ihren Organisationsbereich nur in Übereinstimmung mit davon betroffenen DGB-Gewerkschaften und nach Zustimmung des DGB-Bundesausschusses ändern. Hieran fehlte es. Gleichwohl führte der Verstoß gegen die DGB-Satzung im Außenverhältnis zu möglichen Tarifpartnern nicht zur Unwirksamkeit der Satzungsergänzung. Eine solche Rechtsfolge sah die damals geltende DGB-Satzung schon nicht vor. Der Tarifzuständigkeit der IG Metall steht auch eine vor dem DGB-Schiedsgericht von der IG Metall und der Gewerkschaft ver.di getroffene Vereinbarung einer Tarifgemeinschaft für die Betriebe und Unternehmen der IBM nicht entgegen. Die Vereinbarung verhält sich nicht ausdrücklich zur Frage der Tarifzuständigkeit. Sie regelt nur die – in der Folgezeit nicht praktizierte – Bildung einer Tarifgemeinschaft. Damit geht sie stillschweigend von der beiderseitigen Tarifzuständigkeit von IG Metall und ver.di aus.

2. Tarifkonkurrenz

Mit Urteil vom 23. März 2005 (- 4 AZR 203/04 -)  hat der Vierte Senat bekräftigt, dass eine Tarifkonkurrenz vorliegt, wenn verschiedene Tarifverträge für dasselbe Arbeitsverhältnis gelten sollen. Die Tarifkonkurrenz ist nach dem Prinzip der Tarifeinheit dahingehend aufzulösen, dass nur der speziellere Tarifvertrag zur Anwendung kommt.

Firmentarifverträge stellen dabei gegenüber Verbandstarifverträgen stets die speziellere Regelung dar. Der Senat hat weiter entschieden, dass Tarifkonkurrenz auch vorliegt, wenn auf ein Arbeitsverhältnis neben einem kraft Allgemeinverbindlichkeit geltenden Tarifvertrag ein weiterer Tarifvertrag kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung findet. Ein kraft vertraglicher Vereinbarung in einem Arbeitsverhältnis geltender Firmentarifvertrag verdrängt deshalb als speziellere Regelung einen für das Arbeitsverhältnis kraft Allgemeinverbindlichkeit geltenden – zudem vertraglich in Bezug genommenen – von derselben Gewerkschaft abgeschlossenen Verbandstarifvertrag. Das Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 TVG) ist auf diese Fallgestaltung nicht anwendbar. Seine Anwendung würde zu Ergebnissen führen, die mit Sinn und Zweck der Allgemeinverbindlicherklärung nicht zu vereinbaren sind, denn der nicht organisierte Arbeitnehmer stünde besser als ein Gewerkschaftsmitglied. Die Allgemeinverbindlicherklärung zielt jedoch auf eine Gleichstellung von organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern. § 5 TVG ist deshalb teleologisch zu reduzieren.

3. Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien

Die Tarifvertragsparteien haben den allgemeinen Gleichheitssatz zu beachten. Streitig ist, ob sich diese Bindung aus einer unmittelbaren oder nur mittelbaren Geltung des Art. 3 Abs. 1 GG ergibt. Mit Urteil vom 16. August 2005 (- 9 AZR 378/04 -) hat der Neunte Senat entschieden, dass der Gleichheitssatz – ungeachtet der dogmatischen Herleitung – auch dann eingreift, wenn dieselben Tarifvertragsparteien die Rechtsverhältnisse von Arbeitnehmern in gleicher beruflicher Stellung in verschiedenen Tarifverträgen regeln. Insoweit handelt es sich lediglich um eine Frage der praktizierten Normsetzung. Der Gleichheitssatz verbietet es, wesentlich gleich liegende Sachverhalte ohne sachlichen Grund unterschiedlich zu behandeln. Die gerichtliche Kontrolle wird hierbei durch die den Tarifvertragsparteien durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Tarifautonomie begrenzt. Ob eine tarifvertragliche Regelung gleichheitswidrig ist, beurteilt sich nach dem von den Tarifvertragsparteien mit der Leistung verfolgten Zweck, wie er sich vorrangig aus dem Wortlaut, den normierten Anspruchsvoraussetzungen, den Ausschlusstatbeständen und der Entstehungsgeschichte ergibt. Dabei können die Tarifvertragsparteien mit einer Leistung mehrere Zwecke verfolgen. Wird in einem firmennbezogenen Tarifvertrag erstmals eine Übergangsversorgung, bestehend aus einer Zusatzrente und einer Flugdienstuntauglichkeitsrente, eingeführt, ist nicht zu beanstanden, wenn die Tarifvertragsparteien bei der Ausgestaltung der Leistung die dem Arbeitgeber dadurch entstehenden Kosten berücksichtigen und deshalb nicht sämtliche bereits zurückgelegten Beschäftigungsjahre anspruchsbegründend sind.